Frauen sind in meiner Wahrnehmung jetzt ‚die Anderen‘
Das Mädchen ist fünf Jahre alt, als es anfängt, die weibliche Rolle massiv abzulehnen – kurze Haare, keine Röcke, fast nur Jungs als Freunde. Einen Namen hat es nicht dafür. Inzwischen ist Henrik 33, macht eine Ausbildung im Archivwesen und lebt seit vier Jahren im Körper des Mannes, der er eigentlich schon immer gewesen ist. Mit potsmunter-Redakteurin Mari Berg hat er offen über sein Leben als Transmann gesprochen. Wann hast du „einen Namen dafür“ bekommen? Der Begriff Transsexualität ist mir in meiner Jugend das erste Mal begegnet, als mich verschiedene Menschen auf mein widersprüchliches Dasein ansprachen. Die Einsicht entwickelte sich aber erst während einer zehnjährigen Beziehung zu einem Menschen mit einer ähnlichen Problematik. Diese Beziehung war nicht einfach, ich konnte mir das lange selbst nicht eingestehen. Im November 2006 bin ich eines Morgens aufgewacht und wusste es einfach! Wie lief die medizinische Behandlung ab? Der erste Schritt war der Gang in eine psychologische Beratungsstelle und in eine Psychotherapie, wo ich sehr viel für mich klären konnte. Dann begann die Hormonersatztherapie, die ich lebenslang machen werde, da ja mein Körper nicht genügend Testosteron produziert. Dann kamen die Operationen: zunächst die Entfernung von Brust, Gebärmutter und Eierstöcken. Dann die Umformungen im Genitalbereich, also die Entfernung der Scheide, die Verlängerung der vorhandenen Harnröhre zum Wasserlassen, die Freilegung der Klitoris und die Verpflanzung von Haut in den Unterarm, wo später der Hautlappen für den Phallus entnommen wurde. Schließlich die Phalloplastik, also das Einsetzen der Hodenimplantate und die Formung der Eichel. Es gibt da verschiedene Methoden, ich habe mich für die Glansplastik entschieden, die den Penis wie beschnitten aussehen lässt. Insgesamt waren es bei mir bisher acht Eingriffe, die Behebung von Komplikationen eingeschlossen. Die nächste und hoffentlich letzte OP wird das Einsetzen einer Erektionsprothese sein. Wie funktioniert das jetzt mit dem Sex? Bisher kann mein Penis ja nur rumhängen, gut aussehen und Wasserlassen. Er ist jetzt 13 Zentimeter lang und sobald die Stäbe eingesetzt sind, kann ich ihn nach Belieben hoch- und runterbiegen. Einen Samenerguss werde ich nie haben, das ist medizinisch utopisch. Die Klitoris ist nach wie vor vorhanden, nur befindet sie sich jetzt unter der Haut an der Wurzel des Penis, und wird beim Sex stimuliert. Der Orgasmus bleibt also ein klitoraler – aber es gibt ja auch noch andere erogene Zonen. Wie hat sich dein Leben durch die Operationen verändert? Als ich nach meiner ersten OP in Berlin aus dem Bus stieg, flirtete mich eine junge Frau an. Das war mir noch nie vorher passiert! Für mich und andere gebe ich jetzt ein stimmiges Bild ab – das öffnet mehr Türen, als man denkt und war ein richtiger Befreiungsschlag. Auch sonst hat sich viel verändert: Ich kann meinen Körper sehr viel besser annehmen, ihn lieben und pflegen. Auch mein Sexualleben hat sich vollkommen gewandelt, da ich meine weiblichen Geschlechtsorgane stark abgelehnt habe und meine Sexualität früher nicht genießen konnte. Die vielen Narben verändern mein Leben natürlich auch, doch damit muss ich selbstbewusst umgehen lernen. Wie ist dein nahes Umfeld mit deiner Veränderung umgegangen? Es gab insgesamt erstaunlich wenig Theater. Mein Vater hat sich schwer getan, aber ansonsten haben mich alle stets unterstützt. Die Ehrlichkeit mit mir selbst hat die Beziehung zu meiner Familie sogar verbessert. Wir reden jetzt viel mehr über die Dinge, die uns beschäftigen. Das hatte ich nicht erwartet und genieße es wirklich sehr! Kannst du Frauen besser verstehen als andere Männer, weil du die Erfahrung eines weiblichen Körpers teilst? Seit mich keine spürbaren Körperteile mehr mit Frauen verbinden, fühle ich mich auch abgeschnitten von ihnen. Seither sind sie in meiner Wahrnehmung „die Anderen“. Sicher lebe ich trotzdem in einem anderen Bewusstsein gegenüber Frauen. Ich weiß, wie selbst unsere verhältnismäßig aufgeschlossene Gesellschaft, die Rollen aus körperlichen Gegebenheiten ableitet, sie behandelt. Ich weiß natürlich auch, was ein weiblicher Körper gesundheitlich so mit sich bringt. Ob ich jetzt deswegen ein Frauenversteher bin? Ich sehe das nicht so. Du wohnst seit 13 Jahren hier – erlebst du Potsdam als tolerante Stadt? Die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Transfrauen und -männern hat sich grundsätzlich verbessert. Einen Löwenanteil daran hat aus meiner Sicht Balian Buschbaum. Er hat das Dasein als transidentischer Mensch aus der Freak-Ecke geholt und mit seiner offenen Art eine gesellschaftliche Auseinandersetzung angeregt. Das Transsexuellengesetz ist hingegen stark reformbedürftig, da muss noch viel passieren. Potsdam erlebe ich als tolerante und offene Stadt, das macht sie auch so lebenswert für mich. Wie leicht ist es für dich, hier öffentlich darüber zu sprechen? Sicherlich werde ich den einen oder anderen Nachteil hierfür einstecken müssen. Aber ich wollte öffentlich über meinen Weg reden, um ganz klar andere Menschen darin zu bestärken, zu sich zu stehen! Zudem hoffe ich auf Dialoge, die dazu führen, dass Menschen sich untereinander in ihren Selbstentwürfen und Vorstellungen besser verstehen lernen. Über Andere etwas zu wissen ist da ein guter Anfang! M. Berg