Intimes & Akutes
Seit einer Weile gibt es in meinen Freundes- und Bekanntenkreisen ein Thema, das überall heiß diskutiert wird. Und ich meine kein angeregtes Diskussiönchen, sondern einen handfesten, wenn auch glücklicherweise noch nicht handgreiflichen Streit. Nein, es geht nicht um Waffenexporte und auch nicht um verwahrloste Jugendliche. Es geht um Intimfrisuren. Mein soziales Umfeld teilt sich nun also in zwei Fraktionen: Auf der einen Seite stehen die Schamhaar-Befürworter, die von einem „Diktat der Rasur“ sprechen und meinen, der Kahlschlag in der Unterhose würde bedeuten, sich in den präpubertären Zustand eines kleinen Mädchens zurückfallen zu lassen, was nun wirklich nicht der mündigen und emanzipierten Frau von heute entspräche. Auf der anderen Seite wetzen die Schamhaar-Gegner ihre Messer und meinen, eine rasierte erogene Zone sei erogener als eine unrasierte. Und deshalb sei die Enthaarung ein Ausdruck der sexuellen Befreiung. Außerdem würden sich ja auch viele Männer rasieren, mit Emanzipation habe das also nichts zu tun, höchstens mit den ständig wechselnden Modeerscheinungen. Offenbar sollte man dazu wirklich eine Meinung haben – zum Schock meiner diskutierenden Freunde habe ich die aber nicht. Da ich mich zwar nicht meiner Behaarung schäme, durchaus aber meiner Meinungslosigkeit, belese ich mich: Laut einer Studie der Uni Leipzig rücken 88 Prozent der Frauen und 67 Prozent der Männer ihrem Schamhaar zuleibe. Und 61 Prozent der Deutschen erwarten dasselbe von ihrem Sexualpartner. Die beliebteste aller Intimfrisuren ist der sogenannte „Hollywood Cut“, meint den totalen Kahlschlag. Platz zwei belegt der „Landing Strip“, also ein mittig stehen gelassener Streifen. Der „Busch“ schafft es immerhin auf Platz drei, noch vor Pfeil, Herzchen und dem Initial des Partnernamens. Doch mit den Umfragen nicht genug: Es gibt auch Stellungnahmen von Promis. Lady Gaga lässt wachsen, Daniela Katzenberger lässt waxen. Das kann man alles googeln, wirklich. Mich beschleicht der Verdacht, dass es hier um was ganz anderes geht: Erwachsene Menschen können ganz unbefangen schlüpfrige Sachen besprechen. Ist ja schließlich eine gesellschaftlich relevante Debatte. Und wer nicht mitmachen will, gilt als verklemmt. So einfach ist das. Und deshalb, liebe Frauen, und auch liebe Männer, machen Sie bitte mit Ihrem Schamhaar, was immer Sie wollen. Rasieren Sie es ab oder lassen Sie es wuchern, mir ist das egal. Und wenn Sie schlüpfrige Gespräche führen wollen, dann machen Sie auch das. Aber tun Sie bitte nicht so, als wäre Ihr Schamhaar ein Politikum. Manche Menschen haben nämlich richtige Probleme. Beispielsweise akute Meinungslosigkeit. M. Berg