Als Dr. Beate Muschalla 2004 in einer psychosomatischen Klinik arbeitet, trifft sie auf viele Patienten, die aus unergründlichen Motiven nicht an ihren Arbeitsplatz zurückwollen – obwohl medizinisch nichts dagegen spricht. Um das Phänomen gründlicher zu verstehen, forscht die Psychologin zu arbeitsbezogener Rehabilitation an der Universität Potsdam. Dabei wird deutlich: Lange Krankschreibungen haben oft etwas mit arbeitsbezogenen Ängsten zu tun.
Frau Dr. Muschalla, was ist die häufigste Ursache für Ängste am Arbeitsplatz?
Studien zufolge leiden 30 Prozent der Bevölkerung an psychischen Erkrankungen. Diese Menschen neigen eher als Gesunde dazu, mit Leistungsängsten und Überforderungsgefühl auf Anforderungen zu reagieren – insbesondere wenn am Arbeitsplatz starker Leistungsdruck und Wettbewerbsklima herrschen.
Zu welchen Konsequenzen können überhöhte Ansprüche an sich selbst führen?
Ansprüche an sich selbst zu haben oder gerne und viel zu arbeiten, ist nichts Krankheitswertiges. Problematisch wird es, wenn das Anspruchsniveau dauerhaft die eigene Leistungsfähigkeit übersteigt. Die Fähigkeit, eine unrealistische Zielsetzung zu erkennen und zu korrigieren, fehlt einigen. Das kann zu Enttäuschung, Ärger und Verbitterung führen, oder eben zu Ängsten. Darunter leiden Familie, Freunde, Freizeit und Regeneration.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Wenn bei der Arbeit gehäuft Fehler passieren, wenn man sich dauerhaft nur noch durch den Tag quält und einem „zum Heulen“ ist, wenn sich Kollegen und Familie Sorgen um einen machen oder wenn es mehrfach zu Ausfällen kommt, dann sollte man einen Arzt aufsuchen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Es kann helfen, in einer Verhaltenstherapie Erwartungen und Ziele einmal zu überdenken und neue Prioritäten zu formulieren. Kleine Alltagsveränderungen wie feste private Verabredungen oder sportlicher Ausgleich können erprobt werden, um die Balance zwischen Arbeit und anderen Lebensbereichen wieder herzustellen.
Welche Erkenntnisse haben Sie in Ihrer Studie gewonnen?
Unsere Studie hat die Effekte innerhalb einer dreiwöchigen Reha mit Gruppentherapie untersucht und wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass sich hierbei Einstellungen zur Arbeit verändern lassen. Das Gefühl, nicht allein betroffen zu sein, hilft vielen, die eigene Situation zu reflektieren oder sich von anderen „abzuschauen“, wie man mit Problemen umgehen kann. Mitpatienten werden dabei oft authentischer wahrgenommen als „kluge Ratschläge“ von einem Fachmann. Arbeitsängste sind aber nicht in drei Wochen wegzumachen, dafür sind weitere Schritte und vor allem leidensgerechte Arbeitsplätze notwendig.
Was verstehen Sie darunter?
Leidensgerechte Arbeitsplätze sind solche, die das Fähigkeitsniveau der Mitarbeiter berücksichtigen. Es gilt also nicht: „Jeder muss alles können oder lernen können“, sondern: „Es gibt Mitarbeiter, die für die eine oder andere Tätigkeit mehr oder weniger geeignet sind“.
M. Berg
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