Am Anfang war Freud. Oder besser gesagt der „Phallus-Neid“ der Frau. Zumindest hat der Begründer der Psychoanalyse um 1900 den Mann und sein bestes Stück noch als beneidenswert betrachtet. Richtig ist sicherlich, dass die Herrschaftsverhältnisse zu Freuds Zeiten noch eindeutig männlich geprägt waren. Und das ist es ja, was der Wiener Seelenforscher meinte: der Mann und sein Verhalten als Fixstern der Gesellschaft. Statistiken sehen Frauen immer noch häufiger beim Psychiater, weil sie sich mit ihrem Seelenleben traditionell stärker auseinandersetzen als die Männer.
Männliche Identitätskrisen
Der Mann hat sich also zum Problemfall entwickelt. Zumindest in der westlichen Welt schätzen viele Frauen das einst starke Geschlecht als verweichlicht und unentschlossen ein. Seit der Höhepunkt der „Verweichlichung“ in den 1990er Jahren mit dem Style des metrosexuellen Mannes erreicht wurde, geht es nur noch bergab. So gibt es inzwischen die Sehnsucht nach dem echten Kerl. Behaarte Brust, kahler Kopf, ungeschliffene Manieren: zurück in die Zukunft?
Kann sich der Mann so noch retten? Jenseits der Äußerlichkeiten scheint die Psyche der Ex-Krone der Schöpfung arg gebeutelt zu sein. Psychologen machen in den industrialisierten Ländern eine Reihe von Faktoren dafür verantwortlich.
Der gestiegene Lebensstandard in den letzten Jahrzehnten führte auch zu einem Anstieg an Depressionen. Das mag widersprüchlich klingen, doch gerade die junge Generation hat mit den vielen Möglichkeiten, die sich ihr bieten, zu kämpfen. Neu ist dabei für die Männer, dass ihr Rollenbild durch die Emanzipationsbewegungen der letzten 40 Jahre erschüttert wurde. Männer sind also nicht länger vom Mars und Frauen siedeln nicht mehr nur auf der Venus?! Zumindest hat eine Studie der University of Rochester (USA) 13 Geschlechterstudien neu untersucht und ausgewertet. Darin ging es unter anderem um das Verhalten in Beziehungen, um Intimität und Sexualität, aber auch um Persönlichkeitsmerkmale wie Offenheit oder Verträglichkeit. Auch eigene Daten haben die Psychologen erhoben. Insgesamt kamen so Angaben über 122 verschiedene Charakteristika bei mehr als 13.000 Personen zusammen.
Tenor der Studie: Für die Mehrheit der psychologischen Merkmale offenbarte sich eine große Ähnlichkeit der beiden Geschlechter. Ganz gegen das Klischee, dass Männer weniger empathisch seien als Frauen, überschnitten sich die Messwerte fü̈r beide Geschlechter stark.
Was treibt die männliche Psyche nun um?
Psychologen sind sich zumindest darin einig: Männer neigen dazu, Probleme zu verdrängen und zu maskieren. Typische Symptome einer Depression sind bei ihnen Wut und Feindseligkeit. Männer greifen dann häufiger zum Alkohol als Frauen. So versuchen sie, die lästigen Gedanken auszuschalten, lockerer zu werden, ihre Ängste zu betäuben. Schwäche gilt immer noch als unmännlich, darü̈berr zu reden erst recht. Das zeigt sich besonders deutlich bei Managern und Führungskräften. So fällt es ihnen im Allgemeinen schwerer, sich Hilfe zu suchen. Gehen sie doch zum Arzt, wird häufig nur das Symptom diagnostiziert, etwa der Alkoholmissbrauch. Die Depression, die vielleicht zu diesem Verhalten geführt hat, wird nicht erkannt. Werden die psychischen Probleme nicht behandelt, kann das in einem Suizidversuch oder Suizid enden.
Entsprechend nehmen sich Männer dreimal häufiger das Leben als Frauen. Das ist nur ein Aspekt –der zweite ist seine Identitätskrise durch die sich in Auflösung befindlichen Gewissheiten der Geschlechterstellung in der Gesellschaft. Kleine Jungs sind heute oft „nur“ von Frauen umgeben. Sie haben kaum mehr männliche Rollenvorbilder: Sie trudeln orientierungslos ins männliche Abseits.
Spezialtherapie für die männliche Psyche?
Jein: Das Ziel einer Behandlung ist bei Männern und Frauen das Gleiche. Der Weg dorthin sollte jedoch immer von den Bedürfnissen des Patienten abhängen. Männer haben durch die Rollenveränderungen der letzten Jahrzehnte häufig ein gestörtes Selbstwertgefühl. Die Therapie der betroffenen Männer ist daher meist darauf ausgerichtet, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Hinzu kommt, dass Männer sich zusätzlich mehr auf die Fähigkeit konzentrieren müssen, die eigenen Gefühle zu erkennen und in Worte zu fassen. Sie müssen lernen, die leidende Psyche nicht in Alkohol zu ertränken beziehungsweise mit Gewalt zu verdrängen. Und Männer sollten ihre Depressionen ausleben dürfen.
Großer Mann, was nun?
Neben den klassischen Formen der Psychotherapie wie Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Psychoanalyse gibt es für Männer (und natürlich auch für Frauen) prophylaktische Maßnahmen: Burn-Out-Segeln, regelmäßiger Sport, insbesondere Laufen und Schwimmen; dadurch werden düstere Gedanken vertrieben oder abgemildert. Alkoholverzicht, autogenes Training und Yoga können für die viel beschworene Work-Life-Balance sorgen. Und Männer sollten eine gesunde Distanz zu ihrem Beruf und der Karriere einnehmen, denn die Fixierung darauf führt bei ihnen oft zu den beschriebenen Seelennöten. „Wann ist der Mann ein Mann?“ singt Herbert Grönemeyer. Die Antwort ist simpel: Lasst ihn einfach Mann sein!
S. Westermann
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